Maren Ozanna erinnert in einem Nachruf an die Familiengeschichte in der NS-Zeit
.
Laut Mitteilung ihrer Familie ist Dr. Renate Neeman, die letzte in Deutschland geborene Nachfahrin der jüdischen Familie Sara (1861-1942) und Leopold Koopmann (1854-1927) aus Berne, am 8. August 2024 im Alter von 98 Jahren in Cincinnati/USA gestorben. Die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, Maren Ozanna, erinnert an den schwierigen Lebensweg der Verstorbenen in der NS-Zeit:
„Das Erinnern an die NS-Zeit hat für uns in der Wesermarsch einen besonderen Stellenwert. Erst kürzlich wurde die Oberschule in Berne nach Louis Koopmann benannt. Das Leid der Opfer und jüdischen Familien darf sich nicht wiederholen und darf nicht in Vergessenheit geraten.
Renate Neeman (geborene Berg) kam 1926 in Hildesheim zur Welt. Die Enkelin von Sara Koopmann hielt sich gerne und oft bei ihrer Großmutter in Berne auf. In einem Interview von 2006 berichtete sie: „Berne, mit Omi Sara und dem lustigen Onkel Lutz [Dr. Louis Koopmann], war mein anderes Zuhause, in dem ich mich immer sicher und geborgen fühlte.“ (1)
Die Nürnberger Rassegesetze von 1935 bewirkten, dass viele jüdische Familien ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden. Das musste auch Renate Neemans jüdische Familie in Berne erleben und die bis dahin erfolgreiche Viehzucht und den Viehhandel 1937 aufgeben. Sara Koopmann, vormals angesehene Geschäftsfrau in Berne, zog zwangsweise zu ihrer Tochter Erna Berg (1892-1979) nach Hildesheim. Allerdings konnte sie dort nur ein halbes Jahr lang ungestört bleiben, da Erna Berg und ihr Mann Eduard vor drohender Verhaftung durch die Gestapo im Mai 1938 nach Holland flüchten müssen. Dort erhielten sie Asyl. Die 77-jährige Sara Koopmann blieb in Hildesheim zurück und sorgte für ihre Enkelin Renate. Diese durfte später – als einziges Familienmitglied – mit Erlaubnis der niederländischen Behörden den Eltern nachreisen.
Sara Koopmann zog von Hildesheim nach Fürstenwalde zu ihrem Sohn Dr. Louis Koopmann (1888-1996). Er war der letzte Vorsteher der Jüdischen Gemeinde in Berne und konnte bereits 1940 in die USA entkommen. Sara Koopmann wurde in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und starb kurz nach der Einlieferung 1942. Ihr Besitz fiel an das Deutsche Reich. 1943 übernahm die Gemeinde Berne mit Beschluss des Gemeinderats die Koopmann-Grundstücke. Dr. Eduard Berg konnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für die Wiedergutmachung eines Teils des konfiszierten deutschen Eigentums sorgen. (2)
Familie Berg lebte ab 1943 in den von den Deutschen besetzten Niederlanden im Untergrund. In getrennten Verstecken in Amsterdam und Amersfoort überlebten sie die Naziherrschaft. 1946 emigrierten sie in die USA. In den USA konnte sich Renate Berg mit ihrem Mann Moshe Neeman und vier Kindern ein neues Leben aufbauen. Beruflich arbeitete sie als Trauma-Therapeutin und engagierte sich über Jahre hinweg in Buffalo und im Holocaust-Center in Cincinnati mit Berichten über ihre Erfahrungen im Holocaust. Lebenslang galt ihre Liebe der klassischen Musik und dem Chorsingen.
Sie lieferte wesentliche Beiträge zur Arbeit des Landkreises Wesermarsch an den Memoiren aus der Tauchzeit, in denen ihre Mutter – aus der Perspektive einer Überlebenden – den Schicksalsweg einer jüdischen Familie nach der Flucht aus Nazi-Deutschland beschrieb. Auf Einladung des Landkreises Wesermarsch besuchte sie mit ihrer Tochter und zwei Enkelinnen 2010 ihren Geburtsort und die Heimatgemeinde ihrer Familie in Berne.
Es liegt in unserer und in der Verantwortung künftiger Generationen, dass Lebensgeschichten wie diese als Mahnung einen festen Platz in unseren Erinnerungen behalten.“
.
(1) Quelle: Bernhold, Ursula: Interview mit Dr. Renate Neeman, 2006. In: Berg, Erna (2007): Memoiren aus der Tauchzeit. Jüdin aus Berne versteckt in Amsterdam 1943-1945. Oldenburg, S. 142
(2) Siehe dazu auch: Bernhold, Ursula/Setje-Eilers, Almut (2018): Die Inschriften der Stele Berne. Eine Dokumentation. Erinnerungen an jüdische Familien während des Nationalsozialismus in Berne. Oldenburg, S. 20-22.